Mercedes EQS – Unterwegs mit Braunschweiger Software-Expertise
Moderne Fahrzeuge sind heutzutage weit mehr als reine Beförderungsmittel – sie sind elektrisch und intelligent. Insbesondere im Luxussegment sind die Fahrzeuge nicht nur mit serviceorientierter High-Tech-Software ausgestattet, die technisch neue Maßstäbe setzt, sondern sie heben sich auch durch ein futuristisches Design von der Mittelklasse ab. Der Einsatz innovativer Softwarearchitektur geht neben den individuellen Ausstattungen und luxuriösen Gadgets, aber auch mit neuen Herausforderungen bei der Entwicklung einher. Die fahrenden Computer sind auf ein robustes Programm angewiesen, um z.B. bei der Spurhaltung des Fahrzeugs während des autonomen Fahrens jederzeit schnell reagieren zu können oder vor Cyberangriffen und anderen Ausfällen gewappnet zu sein. Seit nunmehr 10 Jahren arbeitet das Technologie-Transfer-Zentrum (TTZ) „Embedded Systems“ der iTUBS unter der Führung von Prof. Dr.-Ing. Rolf Ernst von der TU Braunschweig in einem gemeinsamen Transferprojekt mit Mercedes-Benz an der Entwicklung ebensolcher Softwarelösungen. Das Ergebnis dieser Arbeit findet sich im neuen Mercedes-Flagship EQS und macht Mercedes zum ersten Fahrzeughersteller weltweit, der dieses moderne Konzept zur Beherrschung der Entwicklung sogenannter zeitkritischer Software in einem Serienfahrzeug verwendet.
Der elektrische Antrieb | Bildnachweis: Mercedes-Benz AG
Der Stuttgarter Automobilhersteller hat die aufkommende Problematik der wachsenden Komplexität zeitkritischer Software frühzeitig erkannt. Denn die traditionelle Implementierung solcher Lösungen wird zunehmend von agilen Methoden abgelöst, die große Anforderungen hinsichtlich zeitkritischer, eng vernetzter Softwarekomponenten bedeuten – wie sie von der Antriebstechnik über den Spurhalteassistent bis zum automatisierten Fahren benötigt werden. In Zusammenarbeit mit den Wissenschaftlern des Instituts für Datentechnik und Kommunikationsnetze der TU Braunschweig setzt Mercedes in seiner neuen vollelektrischen Luxuslimousine sowie allen neuen Modellen der EQ-Serie und künftigen Hybridmodellen auf „Logic Execution Time“ (LET). Prof. Ernst, der als Pionier auf diesem Fachgebiet gilt, erklärt: „LET beschreibt eine Softwarearchitektur, bei der die Wirkketten der zeitkritischen Software durch feste Zeitpunkte der Kommunikation stabilisiert werden, sodass sie bei agilen Änderungen der Software erhalten bleiben. Dieses robuste Verfahren, dem ein theoretisches Konzept der UC Berkeley zugrunde liegt, wurde von Mercedes in Kooperation mit Zulieferern und der iTUBS als Forschungspartnerin ausgearbeitet und zur Serienreife weiterentwickelt, wobei praktische Nutzbarkeit, hohe Kosteneffizienz und Sicherheit im Vordergrund standen.“
Somit richtet sich der Konzern heute verstärkt auf Elektromobilität aus, weshalb Mercedes nicht ohne Grund vom „Beginn einer neuen Ära“ spricht. In diesem Zusammenhang war das Mitwirken der Braunschweiger Forscher bei der Bewertung und Einführung systematischer Softwareentwurfs- und Analysemethoden entscheidend, hebt Prof. Ernst, der seit 1990 an der Technischen Universität Braunschweig als Professor tätig ist, hervor. „Umgekehrt entstanden daraus neue Forschungsfragen und Resultate, die zu hochklassigen Veröffentlichungen auf international führenden Konferenzen und in Top Zeitschriften führten. Flankiert wurde die Zusammenarbeit von öffentlich geförderten Projekten“, resümiert der Wissenschaftler weiter. Zwar stellt LET heute noch eine Insellösung dar, d.h. aufgrund der speziell zugeschnittenen Problemlösung für einzelne Aufgaben, wie den Antrieb des EQS-Modells, ist es noch nicht in allen Systembereichen einsetzbar. Längst arbeiten die Projektpartner gemeinsam an einer übergreifenden Lösung für das ganze Fahrzeug und seine interne Vernetzung.
Der elektrische Antrieb | Bildnachweis: Mercedes-Benz AG
Mit „System-Level LET“ sollen die vielen Aufgaben und Services künftiger Fahrzeuge der Luxusklasse durch eine standardisierte Methodik robust und flexibel integriert und agil verändert werden können. Gemeinsam wurden die Grundlagen dieser LET-Erweiterung erarbeitet und bereits in AUTOSAR, den internationalen Softwarestandard der Automobilbranche, eingebracht. Damit werden die Ergebnisse auch für andere Fahrzeughersteller verfügbar. In den nächsten Jahren soll die Umsetzung der Erweiterung in die Serie vorbereitet werden. Rolf Ernst bewertet den Wissens- und Technologietransfer daher als klaren Erfolg: „Mit dem Projekt und dessen Weiterentwicklung haben wir bereits ein wichtiges Ziel erreicht. Die weitere Zunahme der Softwarekomplexität durch das automatisierte Fahren und neue Services mit Bindung in die Cloud, fordern auch in Zukunft systematische und abgesicherte Methoden für die Kopplung mit den vielfältigen Fahrzeugfunktionen.
Gerade im Luxussegment wird die rasche Weiterentwicklung und Einbindung neuer Services eine zentrale Herausforderung sein.“ Eine Herausforderung, die die Braunschweiger Forscher nur allzu gern annehmen, um der forschungsintensivsten Region Europas alle Ehre zu machen.
Titelbild | Mercedes-Benz AG